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Eines der wichtigsten Tools des Spracharbeiters: das Dingsda.

Warum ausgerechnet die sonst so wortgewandten Dolmetscher eines der wichtigsten Tools im Dolmetschalltag Dingsda genannt haben? Ich weiß es nicht. Aber tatsächlich ist die tragbare Dolmetschanlage in mehreren Sprachen unter dem französischen Wort für Dingsda bekannt, bidule.

Heute kann ich stolz sagen: Didion Übersetzungen besitzt jetzt ein Dingsda – bekannt übrigens weiterhin unter den treffenderen, wenn auch weniger charmanten Bezeichnungen Personenführungsanlage, PFA oder Flüsteranlage.

Die Personanführungsanlage zu Coronazeiten

Eine Tourguide-Anlage besteht aus einem Mikro mit Sender und einem oder mehreren Empfängern mit Kopfhörern. Beim Gerichtsdolmetschen in Coronazeiten haben Personenführungsanlagen daher einen unschlagbaren Vorteil: Es kann problemlos unter Einhaltung der Abstandsregeln gedolmetscht werden. Der Dolmetscher spricht in das Mikrofon und die Person, für die gedolmetscht wird, hört die Verdolmetschung über Kopfhörer.

Die „klassische“ Dolmetschtechnik beim Gerichtsdolmetschen ist hingegen das sogenannte Flüsterdolmetschen (auch Chuchotage von frz. chuchoter, flüstern). Der Name ist hier Programm:In Coronazeiten: Dolmetschen mit PFA. Der Dolmetscher sitzt sehr nahe bei der Person, für die er arbeitet, und „flüstert“ ihr das Gesagte simultan zu. Wie man sich vorstellen kann, ist diese Dolmetschtechnik mit den aktuell gültigen Abstandsregeln nicht vereinbar. Momentan sitzt der Dolmetscher also mit einem Abstand von mindestens 1,5 Metern neben der Person und spricht in Zimmerlautstärke. Was leider zu einem akustischen Tohuwabohu im Gerichtssaal führen kann. Eine andere Lösung sind Trennwände, aber sie „verschlucken“ akustisch einen Teil des Gesagten, sodass der Dolmetscher wiederum lauter sprechen muss.

Will man sowohl Abstand als auch Akustik berücksichtigen, braucht man es also: das Dingsda.

Und nach Corona?

Auch nach Coronazeiten kann eine PFA nützlich sein: Wenn für mehrere Beteiligte gedolmetscht werden soll, wird es mit dem Flüstern auch schwierig. Hier hilft ebenfalls eine Bidule mit mehreren Kopfhörern weiter.

Ein weiteres Einsatzfeld für Flüsteranlagen ist das Dolmetschen bei Mitarbeiterschulungen in der Fertigung. Sollen Mitarbeiter aus dem Ausland im Mutterunternehmen an Maschinen geschult werden, werden sie dabei oft von einem Dolmetscher unterstützt. Der ohne PFA immer direkt neben dem Mitarbeiter stehen muss, ob in der Rohkarosserie oder mit dem Kopf in der Funkenerodiermaschine. Die Personenführungsanlage ermöglicht dem Dolmetscher, sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren, ohne „seinem“ Teilnehmer wie ein Schatten folgen zu müssen.

 Sind Sie neugierig auf das Dingsda geworden? Ich kann die Anlage gerne zu zukünftigen Einsätzen mitbringen, ob bei Gericht oder in der Produktion. Selbstverständlich desinfiziere ich die Kopfhörer vor und nach jedem Einsatz gründlich mit Sagrotan.

Neu im Werkzeugkasten: AnyCount

Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.

Mit diesem Einstein zugeschriebenen Zitat wirbt das Unternehmen AIT für seine Software AnyCount: ein Tool, das zu fast jedem Dateiformat die Anzahl der darin enthaltenen Wörter ermittelt. Und „fast jedes Dateiformat“ bedeutet hier tatsächlich fast jedes Dateiformat, von PDF über PowerPoint bis hin zu exotischeren Formaten wie BMP oder PNG.

Im Rahmen der GroupBuy-Aktion des BDÜ habe ich mir dieses Universalgenie zugelegt – denn wenn es darum geht, den Preis einer Übersetzung zu bestimmen, zählt eben doch, was gezählt werden kann.

https://www.anycount.com/

Schnell und charmant: der Glossary Converter

Die Aufgabe: ein Excel-Glossar in MultiTerm konvertieren.

Die Lösung: der Glossary Converter!

Googeln hilft. Und der Glossary Converter auch.

Vorausgegangen war ein stundenlanges Experimentieren mit SDL MultiTerm Convert, dem Tool, das SDL eigentlich zu diesem Zweck entworfen hat. Ich habe auch schon erfolgreich damit gearbeitet: bei kleineren Glossaren. Doch mein Glossar zur französischen Rechtssterminolgie, das inzwischen rund 600 Einträge und ellenlange Definitionen umfasst, brachte SDL MultiTerm Convert zum Absturz. Bei jedem Versuch. Und ich unternahm viele. Nach dem ersten Fehlversuch wartete ich erst mal die Installation meiner neuen SSD-Karte ab. Doch auch die half nichts. Dann unterteilte ich das Glossar in kleinere Glossare, und dann in noch kleinere. Ohne Erfolg. In einem Forum fand ich den Tipp, die Tabelle solle möglichst keine leeren Felder enthalten. Also befüllte ich die Felder der „unübersetzbaren Begriffe“ einfach mit dem Originalbegriff. Auch diese Fleißarbeit war nicht von Erfolg gekrönt.

Und dann tat ich das, was ich schon viel früher hätte tun sollen. Ich googelte. Probleme Excel MultiTerm. Und stieß auf ein Tool, das von einem Anwender entworfen wurde: den Glossary Converter. Den lädt man sich schnell herunter und zieht dann die zu konvertierende Datei auf das Logo am Desktop. Einfacher geht’s nicht. In einer Minute war mein Glossar konvertiert.

Zu finden ist das Tool auf der privaten Website des Entwicklers: https://www.cerebus.de/. Neben Infos zu einem Computerspiel für den C64, einem Tool, mit dem man die Bildschirmuhr nach dem Vorbild der Lieblingsarmbanduhr gestalten kann, und Auszügen aus dem legendären Comic Cerebus.

Auch über die SDL-Website bekommt man den Glossary Converter: https://appstore.rws.com/language/app/glossary-converter/195/. Wenn ich das richtig sehe, haben sie den Programmierer inzwischen eingestellt, eine kluge Entscheidung. Ich habe mir meinen Converter trotzdem von https://www.cerebus.de/ geholt, da diese Seite einfach mehr Charme hat. Und hey, wann war der Download eines Trados-Tools schon mal ein Erlebnis?

Keine Lust, vor dem Wahllokal Schlange zu stehen? Dann stellen Sie sich vor, Sie wären Franzose.

Keine Lust, vor dem Wahllokal Schlange zu stehen? Dann stellen Sie sich vor, Sie wären Franzose. In diesem Fall müssten Sie im Wahljahr nämlich viermal zur Urne. Wenn Sie also das Gefühl hatten, 2017 wurde ununterbrochen über die Wahlen in Frankreich berichtet – dann hat sie dieses Gefühl nicht getrogen. Doch weshalb brauchen unsere französischen Nachbarn vier Wahlgänge und wir nur einen?

Einen zusätzlichen Urnengang benötigen die Franzosen allein deshalb, weil in Frankreich Staatschef und Parlament getrennt gewählt werden. Hier „sparen“ wir in Deutschland schon mal einen Wahlgang ein: In Deutschland wählen wir den Bundestag, und dieser wählt den Bundeskanzler. In Frankreich wurde 1962 per Referendum entschieden, dass der Staatspräsident vom Volk direkt gewählt wird. Initiiert wurde diese Abstimmung von Charles de Gaulle. Für ihn war die Präsidentschaftswahl laut dem berühmten ihm zugeschriebenen Zitat la rencontre d’un homme et d’un peuple: die Begegnung zwischen einem Mann und einem Volk.

Dieses Zitat umreißt den großen Vorteil, den die Direktwahl für den Präsidenten hat: Er ist ganz klar – eben direkt – durch das Volk legitimiert. Doch auch für den Wähler hat das System der separaten Wahlen Vorteile: Er kann zwischen Partei und Präsidentschaftskandidat trennen. Wer bei uns SPD wählt, wählt Schulz. Wer Merkel wählen will, muss CDU wählen. Ein großer Nachteil des französischen Systems war lange Zeit das Auftreten von Cohabitations. Gehört der Präsident einer anderen Partei an als die Parlamentsmehrheit, und das ist bei diesem System möglich, können sich die beiden Institutionen äußerst erfolgreich blockieren. Früher fanden die Parlamentswahlen alle 5 Jahre statt, die zum Präsidentenamt alle 7 Jahre. Und in zwei Jahren konnte sich der Wählerwille schon mal ordentlich drehen. Inzwischen hat man das Risiko einer Cohabitation minimiert, indem man den Rhythmus der Präsidentschaftswahl auch auf 5 Jahre festlegte. Die „Nebenwirkung“: Jedes Wahljahr wird zum Superwahljahr, in dem Präsident und Nationalversammlung gewählt werden müssen.

Wie werden aus diesen beiden Wahlen nun vier? Ganz einfach: Für beide Wahlen werden je zwei Durchgänge benötigt.

Der Präsident muss durch eine absolute Mehrheit legitimiert werden, und die hat noch kein Kandidat im ersten Wahldurchgang erreicht. Deshalb wird als zweiter Schritt eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen durchgeführt.

Auch die Wahlen zur Nationalversammlungen bestehen aus zwei Runden. Denn auch bei dieser Wahl wählen die Franzosen keine Parteien, sondern Personen. In Deutschland haben wir ja ein Verhältniswahlrecht: Jede Partei erhält so viel Sitze, wie es ihrem Anteil an den Stimmen entspricht (wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde geknackt hat). Dafür brauchen wir nur einen Wahldurchgang. In Frankreich jedoch gilt ein Mehrheitswahlrecht. Das Land ist in 557 Wahlkreise unterteilt, jeder Wahlkreis entsendet einen Abgeordneten. Jetzt wäre es theoretisch möglich, einfach nur einen Durchgang zu veranstalten und den Kandidaten, der dabei die meisten Stimmen bekommt, in das Parlament zu entsenden. So laufen beispielsweise die Wahlen zum britischen Unterhaus ab. Doch in Frankreich gewinnt im ersten Durchgang auch bei den Parlamentswahlen nur ein Kandidat, der die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereint. Das kommt vor – aber selten. Deshalb gibt es in den meisten Wahlkreisen eine zweite Runde, in die alle Kandidaten einziehen, denen im ersten Wahlgang mindestens 12,5 % der eingeschriebenen Wähler ihre Stimme gegeben haben. Anders als bei den Präsidentschaftswahlen kann der Wähler im „second tour“ der Parlamentswahlen also eventuell zwischen mehr als zwei Kandidaten entscheiden; der Kandidat mit der relativen Mehrheit zieht dann in die Assemblée Nationale ein.

Das Mehrheitswahlrecht hat den Vor- und Nachteil, dass die stärksten Parteien überproportional viele Sitze erhalten. Deshalb standen sich auf der politischen Bühne unseres Nachbarlands bisher vor allem die beiden Volksparteien gegenüber, die Sozialisten und die Konservativen, oder einfach: la gauche et la droite. Da überrascht es nicht, dass sich die meisten Franzosen einem der beiden Lager zuordnen können: Sie können ganz klar sagen, ob sie de gauche oder de droite sind. Für eine kleinere Partei erschien es bisher unmöglich, die Mehrheit im Parlament zu erlangen, bis Macron des Unmögliche gelang: Mit seiner erst vor Kurzem gegründeten Partei La République en Marche eroberte er nicht nur das Präsidentenamt, sondern auch die Mehrheit der Parlamentssitze. Ein politisches jamais vu.

Der sicher geringste Nachteil des Mehrheitswahlrechts betrifft die Sonntage der Franzosen. Davon müssen sie folglich insgesamt vier opfern, möchten sie ihren Bürgerpflichten nachkommen. In Zeiten immer größerer Politikverdrossenheit mag das dazu beitragen, dass die Wahlbeteiligung in den Keller geht. Im ersten tour der Parlamentswahlen stimmten 2017 nicht einmal die Hälfte der Franzosen ab. Und im zweiten Wahlgang erreichte die Wahlbeteiligung ein trauriges Rekordtief von 43 Prozent.

Wir in Deutschland dagegen müssen nur einmal den Gang ins Wahllokal antreten. Das ist zu schaffen, und wenn das sonnige Herbstwetter auch noch so günstig für einen Ganztagesausflug wäre. Und, was noch viel wichtiger ist: Wir dürfen diesen Gang frei antreten. Für die Bürger vieler anderer Länder gilt das nicht. Deshalb hoffe ich, dass wir am Sonntag nicht ein Rekordtief, sondern vielleicht sogar ein Rekordhoch der Wahlbeteiligung erleben werden.

Fünfzig Pfennig für „der wo“

 

Fünfzig Pfennig für jeden Relativsatz mit „der wo“. So war in den frühen Achtzigerjahren die Regelung an meiner Grundschule. Und da kam ganz schön was zusammen. (An dieser Stelle viele Grüße an meinen ehemaligen Grundschullehrer Herrn Witter(1). Hoffentlich haben Sie auf den Kanaren besseres Wetter als wir hier!) Die Aufgabe der Schule war es, uns Dorfkindern Hochdeutsch beizubringen. Dialekt hatte da keinen Platz.

Wegweiser auf Inishmore

Welchen Stellenwert regionale Sprachen anderswo haben, musste ich in unserem letzten Sommerurlaub in Irland erleben. Dún Eoghanachta. Solchen Wortungetümen sieht man sich als Tourist gegenüber, sobald man sich in die Gaeltacht wagt, die Gebiete, in denen das Irische offiziell die vorherrschende Sprache ist. Orts- und Straßenschilder sind dort nicht zweisprachig, sondern ausschließlich auf Irisch. Doch auch im Rest des Landes ist das Irische – nicht das Englische – Hauptamtssprache. Englisch bringt es nur zur „second official languge“. Die irische Verfassung ist zweisprachig, wenn die beiden Sprachfassungen voneinander abweichen, geht jedoch der Text in irischer Sprache vor. Und das, obwohl nur 40,8 % der Iren von sich behaupten, der irischen Sprache überhaupt mächtig zu sein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Irisch an den Schulen gelehrt wird. Und zwar als Pflichtfach.

Woher dieser unterschiedliche Umgang mit regionaler Sprache? Klar, einerseits vergleiche ich hier Äpfel mit Birnen. Das Irische ist eine eigenständige Sprache, kein Dialekt einer Hochsprache. Und dann ist es eben eine Sprache, während es in Deutschland so viele Dialekte wie Dörfer gibt. Doch schon diese  zweite Unterscheidung trifft nur bedingt zu. Zwar wird an Schulen ein auf staatliche Initiative hin erarbeitetes Standardirisch unterrichtet. Tatsächlich wird dieses künstlich geschaffene „Hochirisch“ jedoch nirgendwo gesprochen, stattdessen existieren verschiedene regionale Ausprägungen. So gesehen existiert das Irische nur in Form von Dialekten.

Der Ursprung der unterschiedlichen Bewertung von Regionalsprache dürfte vielmehr in der Geschichte liegen, in dem anders geprägten Ringen um einen Nationalstaat. Für die Iren ist das Irische die autochthone Sprache, in Abgrenzung zum Englischen, der Sprache der Besatzer. Noch heute ist die eigenständige Sprache (Englisch und Irisch gehören nicht einmal demselben Sprachzweig an) ein Symbol auch kultureller Eigenständigkeit. Die deutschen Dialekte hingegen sind aus jahrhundertelanger Kleinstaaterei entstanden. Wo jeder Landstrich ein eigenes Fürstentum bildete, fand auch keine sprachliche Durchmischung statt. Als ich zur Grundschule ging, gab es Deutschland als staatliches Gefüge gerade einmal gute hundert Jahre. Kein Wunder, dass dieser junge Staat das sprachlich Einende, nicht Trennende fördern wollte.

Doch seit meiner Schulzeit ist noch mal viel Wasser die Altmühl hinuntergeflossen. (Und das, obwohl ich behaupten kann, an den Ufern des am langsamsten fließenden Fluss Deutschlands geboren zu sein.) Europa wächst immer stärker zusammen, zumindest war das der Plan. Die Epoche der „europäischen Kleinstaaterei“ ist hoffentlich beendet. Und dennoch, der Mensch besitzt eine tief verwurzelte Sehnsucht nach regionaler Zugehörigkeit. Das Erstarken separatistischer Kräfte ist sicher nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen. Deshalb muss an die Stelle des Europa der Staaten ein Europa der Regionen treten. Regionen bieten ein viel höheres – und gesünderes – Identifikationspotenzial. Regionale Identität lässt sich sinnlich erleben, staatliche nicht. Ein kleiner Test: Wie schmeckt Deutschland? Nicht wirklich. Wie schmeckt Franken? Nach Bratenduft, nach Lebkuchen, nach feuchtem Laub am Waldboden, nach den Algen im Altmühlsee. Wie schmeckt Hamburg? Nach Seetang, nach Astra, nach großer weiter Welt und ein bisschen nach Fisch.

Neuschwanstein

Ein Freund, Aki, der ursprünglich aus Persien stammt, bezeichnet sich gerne als Franke. Würde er sich auch als Deutscher bezeichnen? Ich habe ihn noch nicht gefragt. Aber er schwärmt von „unserem Franken“ und „unserem Bayern“. Regelmäßig macht er sich von seiner kleinen Autowerkstatt am Nürnberger Plärrer auf zu Orten wie Schloss Neuschwanstein oder Schloss Berg am Starnberger See, wo Ludwig II. zu Tode kam. „Wenn der Ludwig sehen könnte, dass ich da am Ufer stehe, würde er sich gleich noch mal umbringen“, meint Aki. Ich meine das nicht. Der Kini hätte sich bestimmt über den begeisterten Neubayern gefreut.

Regionen können also ein konkreteres, erlebbares Heimatgefühl stiften als Länder, und das für Neubürger wie für Alteingesessene. Deshalb sollten wir regionale Identität fördern, und dazu trägt auch die Pflege von Dialekten bei. Fränkisch, Bayerisch, Schwäbisch oder Kölsch als Schulfach? Warum nicht. Es muss ja nicht gleich ein Pflichtfach sein. Und wer als Kind verschiedene Bundesländer durchlebt, hat eben die Möglichkeit, verschiedene Dialekte zu erlernen – und damit auf jeder Party zu brillieren.

Früh übt sich der, der wo ein Meister werden will.

 

(1) Name von der Redaktion geändert.

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Letzter Teil.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Letzter Teil.

 

7) Luther hat zwar nicht die Arbeit erfunden, aber den Beruf. 

Luther kann also in vielerlei Hinsicht für uns Übersetzer als Vorbild gelten. Doch auch ihm sind Fehler unterlaufen, einer davon mit weitreichenden Folgen.

Luther als ÜbersetzerEr übersetzte an mehreren Stellen zwei vollkommen unterschiedliche griechische Begriffe mit ein und demselben deutschen Wort: „Beruf“. Einerseits das griechische Wort für „Berufung (durch Gott)“. Und andererseits das griechische Wort für „Arbeit“. Max Weber geht in Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus davon aus, dass „Beruf“ hier zum ersten Mal im Sinne von „Arbeit“ verwendet wird. Seither klingt in der Arbeit auch immer ein wenig Berufung mit. Die Arbeit erhält somit eine moralisch-religiöse Komponente, die sie zuvor nicht besessen hatte.

Und das bringt uns von der Wortklauberei zur Weltwirtschaft. Dürfen wir uns bei Luther bedanken, wenn wir um Mitternacht noch an einer Übersetzung sitzen, weil „Feierabend“ kein Argument ist? Wenn man mitbedenkt, welch starken Einfluss die protestantische Arbeitsethik auch ansonsten auf unser kapitalistisches Wirtschaftssystem hatte, sieht es fast danach aus. Andererseits ist es auch schön, dass es gerade ein Übersetzer war, der den Beruf erstmals zur Berufung machte.

 

Quellen:

Max Weber: Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, 1904/05 und 1920

Webers Gedanken zu Luthers Übersetzung nimmt Markus Väth in seinem überaus lesenswerten Buch zum New Work wieder auf. Markus Väth: Arbeit – die schönste Nebensache der Welt: Wie New Work unsere Arbeitswelt revolutioniert, Offenbach 2016

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 3.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 3.

 

6) Luther antwortete selbstbewusst auf Kundenfeedback. Sein berühmter Sendbrief vom Dolmetschen ist nichts anderes als eine seitenlange Antwort auf Kundenfeedback – wie sie jeder Übersetzer schon verfasst haben dürfte. Wenn auch hoffentlich etwas diplomatischer als Luther. Auf die Frage hin, warum er in Römer 3,28 übersetzt habe, der Mensch werde gerecht „allein durch den Glauben“, obwohl sich in der lateinischen Version das Wort „sola“ nicht finde, stellt er klar:

Wahr ist’s: Diese vier Buchstaben s-o-l-a stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpf ansehen wie die Kühe ein neu Tor, sehen aber nicht, daß es gleichwohl dem Sinn des Textes entspricht, und wenn man’s will klar und gewaltiglich verdeutschen, so gehöret es hinein, denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, als ich deutsch zu reden beim Dolmetschen mir vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unsrer deutschen Sprache, wenn sie von zwei Dingen redet, deren man eines bejaht und das ander verneinet, so braucht man des Worts solum „allein“ neben dem Wort „nicht“ oder „kein“. So wenn man sagt: „Der Baur bringt allein Korn und kein Geld.“ (…)

Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.

Und er wird noch direkter:

Wenn euer Papist sich viel Beschwer machen will mit dem Wort „sola-allein“, so sagt ihm flugs also: Doktor Martinus Luther will’s so haben, und spricht: Papist und Esel sei ein Ding. (…)

So will ich mich auch wider diese meine Esel rühmen. Sie sind Doktores? Ich auch! Sie sind gelehrt? Ich auch! Sie sind Prediger? Ich auch! Sie sind Theologen? Ich auch! Sie sind Disputatoren? Ich auch! Sie sind Philosophen? Ich auch! Sie sind Dialektiker? Ich auch! Sie sind Legenten? Ich auch! Sie schreiben Bücher? Ich auch! Und will weiter rühmen: Ich kann Psalmen und Propheten auslegen; das können sie nicht. Ich kann dolmetschen; das können sie nicht. Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Quelle: Den kompletten Sendbrief vom Dolmetschen kann man hier lesen. Eine vergnügliche Lektüre für jeden Übersetzer! Allerdings muss ich mich nun zusammenreißen, dass ich nicht bei der nächsten Kundenrückfrage erkläre: Cordula Didion will’s so haben!

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 2.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

Luther als Übersetzer

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 2.

2) Luther wollte den Originaltext sehen.Das Original ist hebräisch oder griechisch, kommt drauf an, aber Sie können auch aus der griechischen oder lateinischen Übersetzung übersetzen. Also die meisten übersetzen einfach aus dem Lateinischen. Sie bekommen jetzt einfach mal alles als Vorlage. Sollte ja dasselbe drinstehen.“ Schon Luther kannte diese Situation. Wäre er von einer Übersetzungsagentur beauftragt gewesen, so hätten die Jobanweisungen lauten können. Denn „die Bibel“ lag in verschiedenen Sprachfassungen vor. Das Neue Testament, dessen Urschriften auf Griechisch verfasst sind, übertrug Luther anhand einer Ausgabe von Erasmus von Rotterdam, in der die lateinische Übersetzung und das griechische Original einander gegenübergestellt sind. Das Alte Testament übersetzte er aus dem Hebräischen, hatte dabei aber die griechische und lateinische Fassung vor Augen.

Im Zweifelsfall stützte er sich jedoch nicht auf die Weltsprache Latein, sondern auf den Originaltext — und das war damals revolutionär. So konnte er Fehler ausmerzen, die sich durch die verschiedenen Übersetzungen zogen. Beispielsweise sagt der Prophet Sacharja im Alten Testament — in der hebräischen Fassung — noch recht zutreffend voraus, dass „der, der da kommt“ auf einem „Esel“ nach Jerusalem einreiten wird, und präzisiert dann: nämlich „auf dem Füllen einer Eselin“. In der griechischen Übersetzung reitet er dann gleichzeitig auf einem Esel und auf dem Füllen einer Eselin. Und obwohl Jesus nicht primär als Kunstreiter bekannt ist, wurde dieser Übersetzungsfehler in die lateinische Bibelübersetzung übernommen. Schon zu Luthers Zeiten war es also aufschlussreich, sich auch mal „das Original vom Original“ anzusehen.

Copyright Figur: Playmobil - geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG, Zirndorf Zu haben ist der sympathische Luther unter tourismus.nuernberg.de/shop.
Copyright Figur: Playmobil – geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG, Zirndorf
Zu haben ist der sympathische Luther unter tourismus.nuernberg.de/shop.

3) Luther arbeitete im Team. Anders als es eine gängige romantische Vorstellung will — Luther, einsam auf der Wartburg beim Licht einer Öllampe arbeitend — entstand der Großteil der Bibelübersetzung in Teamarbeit. Bei der Übersetzung des Alten Testaments ließ sich Luther von einer Expertengruppe beraten, die einmal wöchentlich in seinem Kloster zusammentraf. Und die Experten waren sorgfältig ausgewählt. Sie waren nicht nur auf verschiedene Ausgangssprachen spezialisiert (Lateinisch, Griechisch und vor allem Hebräisch), sondern sie stammten auch aus unterschiedlichen Regionen. Diese Teamarbeit war also ausschlaggebend dafür, dass in Luthers Übersetzung verschiedene Dialekte zu einer neuen Hochsprache verschmelzen konnten. Und wenn schon Luther so großen Wert auf den Austausch mit Kollegen von überall her legte — dann sollten wir im Internetzeitalter das erst recht tun!

Quelle: Vortrag von Nikolaus Schneider auf der Rostocker Konferenz zur Überarbeitung der Lutherübersetzung

4) Luther recherchierte. Und im prä-digitalen Zeitalter fielen Recherchen natürlich aufwendiger aus. Beispielsweise ließ er sich für die Übersetzung der Apokalypse einige Edelsteine aus der Schatzkammer Friedrichs des Weisen auf die Wartburg bringen, um deren richtige Bezeichnung gleich am Objekt zu lernen. Man muss dazusagen, dass in der Apokalypse eine Menge Edelsteine vorkommen. Aber so ist es auch noch heute: Für Recherchen scheuen wir Übersetzer keine Mühen. Und unser Umfeld hoffentlich auch nicht.

Quellen:
Vortrag von Nikolaus Schneider auf der Rostocker Konferenz zur Überarbeitung der Lutherübersetzung

5) Luther arbeitete zielgruppenorientiert. Er wollte eine für jedermann verständliche Übersetzung schaffen. Das war ihm wichtiger, als wörtlich am Text zu kleben, auch wenn es sich bei diesem um die Bibel handelte. Er selbst hat diese Herangehensweise recht griffig in Worte gefasst: Man „muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.“

Quelle: Luthers Sendbrief vom Dolmetschen, aus dem wir auch heute noch viel lernen können. Wenn auch vielleicht nicht zum Umgang mit Kundenfeedback … doch dazu bald mehr in Punkt 6) meiner kleinen Reihe!

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 1.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

LUTHER - ein Kaleidoskop

 

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 1.

Wir sind im Lutherjahr, und alle Medien berichten von dem Reformator, Thesenanschläger, Tintenfasswerfer, Mitverantwortlichen für den Bauernkrieg, 30-jährigen Krieg und deutschen Föderalismus, über den Verfechter eines modernen Pluralismus, den Judenhasser, Frauenbeleidiger, Frauenrechtler, Sinnesmenschen, Mönch, Büßer und Begründer der protestantischen Arbeitsethik: Luther.

Kein Wunder, dass in diesem Kaleidoskop die Facette, in der sich unser Berufsstand widerspiegelt, manchmal überlagert wird: Luther war Übersetzer, und zwar einer der ersten, deren Werk in großem Maßstab veröffentlicht wurde. Deshalb hier ein kleiner Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in 7 (nein, nicht 95) Punkten:

 

 

1) Luther nahm sich Zeit für seine Übersetzung. Und zwar von 1521 bis 1534. Natürlich hatte er auch eine Aufgabe wahrhaft biblischen Ausmaßes zu bewältigen. Und dennoch, er hätte sich unter Zeitdruck setzen lassen können. Denn parallel zu ihm arbeitete in Zürich Zwingli an einer deutschen Übersetzung der Bibel. Und er wurde 1531 fertig, drei Jahre vor Luther. In ihrer Sprachgewalt und sprachnormativen Kraft war Luthers Übersetzung der von Zwingli jedoch weit voraus, und das verhalf der Lutherbibel zum Durchbruch.

Schon damals galt also: Besser eine etwas längere Lieferfrist und dafür ein Ergebnis, das Bestand hat.

Quelle: Ein Interview mit dem Schriftsteller Bruno Preisendörfer in den Nürnberger Nachrichten. In seinem Buch Als unser Deutsch erfunden wurde erklärt er, warum die heutige Sprache in der Zeit Luthers ihre Wurzeln hat.