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Fünfzig Pfennig für „der wo“

 

Fünfzig Pfennig für jeden Relativsatz mit „der wo“. So war in den frühen Achtzigerjahren die Regelung an meiner Grundschule. Und da kam ganz schön was zusammen. (An dieser Stelle viele Grüße an meinen ehemaligen Grundschullehrer Herrn Witter(1). Hoffentlich haben Sie auf den Kanaren besseres Wetter als wir hier!) Die Aufgabe der Schule war es, uns Dorfkindern Hochdeutsch beizubringen. Dialekt hatte da keinen Platz.

Wegweiser auf Inishmore

Welchen Stellenwert regionale Sprachen anderswo haben, musste ich in unserem letzten Sommerurlaub in Irland erleben. Dún Eoghanachta. Solchen Wortungetümen sieht man sich als Tourist gegenüber, sobald man sich in die Gaeltacht wagt, die Gebiete, in denen das Irische offiziell die vorherrschende Sprache ist. Orts- und Straßenschilder sind dort nicht zweisprachig, sondern ausschließlich auf Irisch. Doch auch im Rest des Landes ist das Irische – nicht das Englische – Hauptamtssprache. Englisch bringt es nur zur „second official languge“. Die irische Verfassung ist zweisprachig, wenn die beiden Sprachfassungen voneinander abweichen, geht jedoch der Text in irischer Sprache vor. Und das, obwohl nur 40,8 % der Iren von sich behaupten, der irischen Sprache überhaupt mächtig zu sein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Irisch an den Schulen gelehrt wird. Und zwar als Pflichtfach.

Woher dieser unterschiedliche Umgang mit regionaler Sprache? Klar, einerseits vergleiche ich hier Äpfel mit Birnen. Das Irische ist eine eigenständige Sprache, kein Dialekt einer Hochsprache. Und dann ist es eben eine Sprache, während es in Deutschland so viele Dialekte wie Dörfer gibt. Doch schon diese  zweite Unterscheidung trifft nur bedingt zu. Zwar wird an Schulen ein auf staatliche Initiative hin erarbeitetes Standardirisch unterrichtet. Tatsächlich wird dieses künstlich geschaffene „Hochirisch“ jedoch nirgendwo gesprochen, stattdessen existieren verschiedene regionale Ausprägungen. So gesehen existiert das Irische nur in Form von Dialekten.

Der Ursprung der unterschiedlichen Bewertung von Regionalsprache dürfte vielmehr in der Geschichte liegen, in dem anders geprägten Ringen um einen Nationalstaat. Für die Iren ist das Irische die autochthone Sprache, in Abgrenzung zum Englischen, der Sprache der Besatzer. Noch heute ist die eigenständige Sprache (Englisch und Irisch gehören nicht einmal demselben Sprachzweig an) ein Symbol auch kultureller Eigenständigkeit. Die deutschen Dialekte hingegen sind aus jahrhundertelanger Kleinstaaterei entstanden. Wo jeder Landstrich ein eigenes Fürstentum bildete, fand auch keine sprachliche Durchmischung statt. Als ich zur Grundschule ging, gab es Deutschland als staatliches Gefüge gerade einmal gute hundert Jahre. Kein Wunder, dass dieser junge Staat das sprachlich Einende, nicht Trennende fördern wollte.

Doch seit meiner Schulzeit ist noch mal viel Wasser die Altmühl hinuntergeflossen. (Und das, obwohl ich behaupten kann, an den Ufern des am langsamsten fließenden Fluss Deutschlands geboren zu sein.) Europa wächst immer stärker zusammen, zumindest war das der Plan. Die Epoche der „europäischen Kleinstaaterei“ ist hoffentlich beendet. Und dennoch, der Mensch besitzt eine tief verwurzelte Sehnsucht nach regionaler Zugehörigkeit. Das Erstarken separatistischer Kräfte ist sicher nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen. Deshalb muss an die Stelle des Europa der Staaten ein Europa der Regionen treten. Regionen bieten ein viel höheres – und gesünderes – Identifikationspotenzial. Regionale Identität lässt sich sinnlich erleben, staatliche nicht. Ein kleiner Test: Wie schmeckt Deutschland? Nicht wirklich. Wie schmeckt Franken? Nach Bratenduft, nach Lebkuchen, nach feuchtem Laub am Waldboden, nach den Algen im Altmühlsee. Wie schmeckt Hamburg? Nach Seetang, nach Astra, nach großer weiter Welt und ein bisschen nach Fisch.

Neuschwanstein

Ein Freund, Aki, der ursprünglich aus Persien stammt, bezeichnet sich gerne als Franke. Würde er sich auch als Deutscher bezeichnen? Ich habe ihn noch nicht gefragt. Aber er schwärmt von „unserem Franken“ und „unserem Bayern“. Regelmäßig macht er sich von seiner kleinen Autowerkstatt am Nürnberger Plärrer auf zu Orten wie Schloss Neuschwanstein oder Schloss Berg am Starnberger See, wo Ludwig II. zu Tode kam. „Wenn der Ludwig sehen könnte, dass ich da am Ufer stehe, würde er sich gleich noch mal umbringen“, meint Aki. Ich meine das nicht. Der Kini hätte sich bestimmt über den begeisterten Neubayern gefreut.

Regionen können also ein konkreteres, erlebbares Heimatgefühl stiften als Länder, und das für Neubürger wie für Alteingesessene. Deshalb sollten wir regionale Identität fördern, und dazu trägt auch die Pflege von Dialekten bei. Fränkisch, Bayerisch, Schwäbisch oder Kölsch als Schulfach? Warum nicht. Es muss ja nicht gleich ein Pflichtfach sein. Und wer als Kind verschiedene Bundesländer durchlebt, hat eben die Möglichkeit, verschiedene Dialekte zu erlernen – und damit auf jeder Party zu brillieren.

Früh übt sich der, der wo ein Meister werden will.

 

(1) Name von der Redaktion geändert.

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Letzter Teil.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Letzter Teil.

 

7) Luther hat zwar nicht die Arbeit erfunden, aber den Beruf. 

Luther kann also in vielerlei Hinsicht für uns Übersetzer als Vorbild gelten. Doch auch ihm sind Fehler unterlaufen, einer davon mit weitreichenden Folgen.

Luther als ÜbersetzerEr übersetzte an mehreren Stellen zwei vollkommen unterschiedliche griechische Begriffe mit ein und demselben deutschen Wort: „Beruf“. Einerseits das griechische Wort für „Berufung (durch Gott)“. Und andererseits das griechische Wort für „Arbeit“. Max Weber geht in Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus davon aus, dass „Beruf“ hier zum ersten Mal im Sinne von „Arbeit“ verwendet wird. Seither klingt in der Arbeit auch immer ein wenig Berufung mit. Die Arbeit erhält somit eine moralisch-religiöse Komponente, die sie zuvor nicht besessen hatte.

Und das bringt uns von der Wortklauberei zur Weltwirtschaft. Dürfen wir uns bei Luther bedanken, wenn wir um Mitternacht noch an einer Übersetzung sitzen, weil „Feierabend“ kein Argument ist? Wenn man mitbedenkt, welch starken Einfluss die protestantische Arbeitsethik auch ansonsten auf unser kapitalistisches Wirtschaftssystem hatte, sieht es fast danach aus. Andererseits ist es auch schön, dass es gerade ein Übersetzer war, der den Beruf erstmals zur Berufung machte.

 

Quellen:

Max Weber: Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, 1904/05 und 1920

Webers Gedanken zu Luthers Übersetzung nimmt Markus Väth in seinem überaus lesenswerten Buch zum New Work wieder auf. Markus Väth: Arbeit – die schönste Nebensache der Welt: Wie New Work unsere Arbeitswelt revolutioniert, Offenbach 2016

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 3.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 3.

 

6) Luther antwortete selbstbewusst auf Kundenfeedback. Sein berühmter Sendbrief vom Dolmetschen ist nichts anderes als eine seitenlange Antwort auf Kundenfeedback – wie sie jeder Übersetzer schon verfasst haben dürfte. Wenn auch hoffentlich etwas diplomatischer als Luther. Auf die Frage hin, warum er in Römer 3,28 übersetzt habe, der Mensch werde gerecht „allein durch den Glauben“, obwohl sich in der lateinischen Version das Wort „sola“ nicht finde, stellt er klar:

Wahr ist’s: Diese vier Buchstaben s-o-l-a stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpf ansehen wie die Kühe ein neu Tor, sehen aber nicht, daß es gleichwohl dem Sinn des Textes entspricht, und wenn man’s will klar und gewaltiglich verdeutschen, so gehöret es hinein, denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, als ich deutsch zu reden beim Dolmetschen mir vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unsrer deutschen Sprache, wenn sie von zwei Dingen redet, deren man eines bejaht und das ander verneinet, so braucht man des Worts solum „allein“ neben dem Wort „nicht“ oder „kein“. So wenn man sagt: „Der Baur bringt allein Korn und kein Geld.“ (…)

Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.

Und er wird noch direkter:

Wenn euer Papist sich viel Beschwer machen will mit dem Wort „sola-allein“, so sagt ihm flugs also: Doktor Martinus Luther will’s so haben, und spricht: Papist und Esel sei ein Ding. (…)

So will ich mich auch wider diese meine Esel rühmen. Sie sind Doktores? Ich auch! Sie sind gelehrt? Ich auch! Sie sind Prediger? Ich auch! Sie sind Theologen? Ich auch! Sie sind Disputatoren? Ich auch! Sie sind Philosophen? Ich auch! Sie sind Dialektiker? Ich auch! Sie sind Legenten? Ich auch! Sie schreiben Bücher? Ich auch! Und will weiter rühmen: Ich kann Psalmen und Propheten auslegen; das können sie nicht. Ich kann dolmetschen; das können sie nicht. Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Quelle: Den kompletten Sendbrief vom Dolmetschen kann man hier lesen. Eine vergnügliche Lektüre für jeden Übersetzer! Allerdings muss ich mich nun zusammenreißen, dass ich nicht bei der nächsten Kundenrückfrage erkläre: Cordula Didion will’s so haben!

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 2.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

Luther als Übersetzer

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 2.

2) Luther wollte den Originaltext sehen.Das Original ist hebräisch oder griechisch, kommt drauf an, aber Sie können auch aus der griechischen oder lateinischen Übersetzung übersetzen. Also die meisten übersetzen einfach aus dem Lateinischen. Sie bekommen jetzt einfach mal alles als Vorlage. Sollte ja dasselbe drinstehen.“ Schon Luther kannte diese Situation. Wäre er von einer Übersetzungsagentur beauftragt gewesen, so hätten die Jobanweisungen lauten können. Denn „die Bibel“ lag in verschiedenen Sprachfassungen vor. Das Neue Testament, dessen Urschriften auf Griechisch verfasst sind, übertrug Luther anhand einer Ausgabe von Erasmus von Rotterdam, in der die lateinische Übersetzung und das griechische Original einander gegenübergestellt sind. Das Alte Testament übersetzte er aus dem Hebräischen, hatte dabei aber die griechische und lateinische Fassung vor Augen.

Im Zweifelsfall stützte er sich jedoch nicht auf die Weltsprache Latein, sondern auf den Originaltext — und das war damals revolutionär. So konnte er Fehler ausmerzen, die sich durch die verschiedenen Übersetzungen zogen. Beispielsweise sagt der Prophet Sacharja im Alten Testament — in der hebräischen Fassung — noch recht zutreffend voraus, dass „der, der da kommt“ auf einem „Esel“ nach Jerusalem einreiten wird, und präzisiert dann: nämlich „auf dem Füllen einer Eselin“. In der griechischen Übersetzung reitet er dann gleichzeitig auf einem Esel und auf dem Füllen einer Eselin. Und obwohl Jesus nicht primär als Kunstreiter bekannt ist, wurde dieser Übersetzungsfehler in die lateinische Bibelübersetzung übernommen. Schon zu Luthers Zeiten war es also aufschlussreich, sich auch mal „das Original vom Original“ anzusehen.

Copyright Figur: Playmobil - geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG, Zirndorf Zu haben ist der sympathische Luther unter tourismus.nuernberg.de/shop.
Copyright Figur: Playmobil – geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG, Zirndorf
Zu haben ist der sympathische Luther unter tourismus.nuernberg.de/shop.

3) Luther arbeitete im Team. Anders als es eine gängige romantische Vorstellung will — Luther, einsam auf der Wartburg beim Licht einer Öllampe arbeitend — entstand der Großteil der Bibelübersetzung in Teamarbeit. Bei der Übersetzung des Alten Testaments ließ sich Luther von einer Expertengruppe beraten, die einmal wöchentlich in seinem Kloster zusammentraf. Und die Experten waren sorgfältig ausgewählt. Sie waren nicht nur auf verschiedene Ausgangssprachen spezialisiert (Lateinisch, Griechisch und vor allem Hebräisch), sondern sie stammten auch aus unterschiedlichen Regionen. Diese Teamarbeit war also ausschlaggebend dafür, dass in Luthers Übersetzung verschiedene Dialekte zu einer neuen Hochsprache verschmelzen konnten. Und wenn schon Luther so großen Wert auf den Austausch mit Kollegen von überall her legte — dann sollten wir im Internetzeitalter das erst recht tun!

Quelle: Vortrag von Nikolaus Schneider auf der Rostocker Konferenz zur Überarbeitung der Lutherübersetzung

4) Luther recherchierte. Und im prä-digitalen Zeitalter fielen Recherchen natürlich aufwendiger aus. Beispielsweise ließ er sich für die Übersetzung der Apokalypse einige Edelsteine aus der Schatzkammer Friedrichs des Weisen auf die Wartburg bringen, um deren richtige Bezeichnung gleich am Objekt zu lernen. Man muss dazusagen, dass in der Apokalypse eine Menge Edelsteine vorkommen. Aber so ist es auch noch heute: Für Recherchen scheuen wir Übersetzer keine Mühen. Und unser Umfeld hoffentlich auch nicht.

Quellen:
Vortrag von Nikolaus Schneider auf der Rostocker Konferenz zur Überarbeitung der Lutherübersetzung

5) Luther arbeitete zielgruppenorientiert. Er wollte eine für jedermann verständliche Übersetzung schaffen. Das war ihm wichtiger, als wörtlich am Text zu kleben, auch wenn es sich bei diesem um die Bibel handelte. Er selbst hat diese Herangehensweise recht griffig in Worte gefasst: Man „muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.“

Quelle: Luthers Sendbrief vom Dolmetschen, aus dem wir auch heute noch viel lernen können. Wenn auch vielleicht nicht zum Umgang mit Kundenfeedback … doch dazu bald mehr in Punkt 6) meiner kleinen Reihe!

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 1.

Ich kann dolmetschen, das können sie nicht.

Ich kann beten, das können sie nicht.

 

Luther als Übersetzer

LUTHER - ein Kaleidoskop

 

 

Ein Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in sieben Punkten. Teil 1.

Wir sind im Lutherjahr, und alle Medien berichten von dem Reformator, Thesenanschläger, Tintenfasswerfer, Mitverantwortlichen für den Bauernkrieg, 30-jährigen Krieg und deutschen Föderalismus, über den Verfechter eines modernen Pluralismus, den Judenhasser, Frauenbeleidiger, Frauenrechtler, Sinnesmenschen, Mönch, Büßer und Begründer der protestantischen Arbeitsethik: Luther.

Kein Wunder, dass in diesem Kaleidoskop die Facette, in der sich unser Berufsstand widerspiegelt, manchmal überlagert wird: Luther war Übersetzer, und zwar einer der ersten, deren Werk in großem Maßstab veröffentlicht wurde. Deshalb hier ein kleiner Einblick in Luthers Übersetzungswerkstatt in 7 (nein, nicht 95) Punkten:

 

 

1) Luther nahm sich Zeit für seine Übersetzung. Und zwar von 1521 bis 1534. Natürlich hatte er auch eine Aufgabe wahrhaft biblischen Ausmaßes zu bewältigen. Und dennoch, er hätte sich unter Zeitdruck setzen lassen können. Denn parallel zu ihm arbeitete in Zürich Zwingli an einer deutschen Übersetzung der Bibel. Und er wurde 1531 fertig, drei Jahre vor Luther. In ihrer Sprachgewalt und sprachnormativen Kraft war Luthers Übersetzung der von Zwingli jedoch weit voraus, und das verhalf der Lutherbibel zum Durchbruch.

Schon damals galt also: Besser eine etwas längere Lieferfrist und dafür ein Ergebnis, das Bestand hat.

Quelle: Ein Interview mit dem Schriftsteller Bruno Preisendörfer in den Nürnberger Nachrichten. In seinem Buch Als unser Deutsch erfunden wurde erklärt er, warum die heutige Sprache in der Zeit Luthers ihre Wurzeln hat.

 

 

Auch das darf der Bundestrainer

 

 

Wir hätten in der Halbzeit schon können 3:0 oder 4:0 führen müssen.“ So Jogi Löw gestern nach dem 1:0 gegen Nordirland. Oder, im selben Interview, etwas weniger abenteuerlich: „Wir hätten können 3:0, 4:0 führen.“ Wir lieben den Bundestrainer für Sätze wie diesen. Aber warum? Was wirkt daran so sympathisch?

Nun, eigentlich ist die von Löw verwendete Satzstellung grammatikalisch falsch. Ich vermute, hier handelt es sich um eine Schwarzwälder Spezialität. Und dass auch unser Bundestrainer alles kann außer Hochdeutsch – das lässt ihn so wunderbar menschlich erscheinen.

Korrekt wäre übfussball mittelfeldrigens: „Wir hätten 3:0, 4:0 führen können.“ In Aussagesätzen steht nur das finite Verb (also hier „hätten“) direkt nach dem Subjekt. Die infiniten Verbformen (hier also  nicht nur „führen“, sondern auch „können“) werden ans Satzende gepackt. Zusammen bilden hier finite und infinite Formen die sogenannte Satzklammer. Alles innerhalb der Satzklammer heißt im Grammatikjargon übrigens „Mittelfeld“.

Indem er die infiniten Verben nach vorne stellt, überspielt Jogi bei der medialen Verteidigung seiner Mannschaft also locker mal das Mittelfeld. Und was könnte einen Trainer sympathischer machen?

Hier der Link zum Interview: Hätten können müssen — Jogi Löw in der Sportschau

 

 

 

11 französische Sätze für Ihre Reise zur Europameisterschaft

 

Didion Übersetzungen hat für Sie ein Survival-Kit mit den elf wichtigsten Sätzen für Ihre Reise zur Europameisterschaft nach Frankreich zusammengestellt.

Verständigungsprobleme mit den französischen Fans?

1) Tor!  —  But !

2) Abseits!  —  Hors-jeu !

3) Einwurf!  —  Rentrée de touche !

4) Ecke!  —  Corner !

5) Ein Bier bitte!  —  Une bière, s’il vous plaît !

6) Foul!  —  Faute !

7) Freistoß!  —  Coup-franc !

8) Elfmeter!  —  Penalty !

9) Dieser Schiedsrichter ist eine Null!  —  Il est nul, cet arbitre !

10) Noch ein Bier bitte!  —  Encore une bière, s’il vous plaît !

11) Bitte entschuldigen Sie, mein Land ist Europameister geworden, wir haben die ganze Nacht durchgefeiert und finden unser Hotel nicht mehr. Der Name des Hotels ist …  —  Excusez-moi, mon pays vient de remporter l’Euro, on a fait la fête toute la nuit et maintenant, on n’arrive plus à retrouver notre hôtel. Le nom de l’hôtel est…

Mit diesen Vokabeln im Gepäck kann nichts mehr schiefgehen. Das glauben Sie nicht? Dann lassen Sie sich ein persönliches Angebot für Ihr individuelles Sprachentraining unterbreiten. Ich coache Sie gerne!

 

TERROR von Ferdinand von Schirach am Staatstheater Nürnberg

Der Angeklagte strahlt über das ganze Gesicht. Vor wenigen Minuten ist er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Absurd? Nein, Theater.

Wir befinden uns in der Publikumsdiskussion im Anschluss an eine der Aufführungen des Stücks Terror von Ferdinand von Schirach an den Nürnberger Kammerspielen. Wie 30 weitere Bühnen im deutschsprachigen Raum hat das Staatstheater Nürnberg das Stück im Programm. Es ist das Stück der Saison, es trifft es den Nerv der Zeit: Ein Terrorist kapert eine Lufthansa-Maschine auf dem Flug von Berlin nach München und kündigt an, sie über der mit 70 000 Menschen voll besetzten Allianz-Arena abstürzen lassen. Zwei Kampfjets der Luftwaffe versuchen, das Flugzeug zum Abdrehen zu zwingen – ohne Erfolg. Kurz vor Erreichen der Arena beschließt einer der beiden Piloten, Lars Koch, schließlich eigenmächtig, das entführte Flugzeug abzuschießen. Den Tod der 164 Passagiere nimmt er in Kauf, um die 70 000 Menschen im Stadion zu retten. Nun ist er wegen 164-fachen Mordes angeklagt, die Bühne wird zum Gerichtssaal, das Publikum zu seinen Schöffenrichtern. Die Zuschauer entscheiden: schuldig oder nicht schuldig?

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht auf seiner Website eine tagesaktuelle Übersicht über die bisher an den Spielorten ergangenen Urteile. Es zeichnet sich eine leichte Mehrheit für schuldig„nicht schuldig“ ab: 59,8 % der Zuschauer insgesamt votierten für Freispruch. Betrachtet man jedoch nicht die Gesamtstimmen, sondern die Richtersprüche, fällt das Ergebnis eindeutig aus: Bei den bisher insgesamt 215 Vorstellungen fiel 201-mal das Urteil „nicht schuldig“, nur 14-mal wurde der Angeklagte für schuldig befunden.1 In Frankfurt am Main, von wo der Hauptdarsteller des heutigen Abends, Nico Holonics, angereist ist, um spontan für den erkrankten Nürnberger Martin Bruchmann einzuspringen, wurde Lars Koch bisher immer freigesprochen. „In Frankfurt komme ich immer viel zu leicht davon, und in Nürnberg werde ich dann endlich verurteilt!“, sagt Holonics, der dem Verhalten der von ihm gespielten Figur sehr kritisch gegenübersteht, bei der an die Aufführung anschließenden Diskussion. Allerdings tendiert auch das Nürnberger Publikum dazu, den Angeklagten freizusprechen. „Unsere“ Aufführung war – neben der Premiere – erst die zweite, bei der das Publikum auf „schuldig“ erkannte.

Die relative Ausgewogenheit der Gesamtstimmen zeigt jedoch, dass die Entscheidung nicht einfach ist, einem von dem Autor nicht einfach gemacht wird. Sie rührt an Fragen der Politik, der Verfassung und der Rechtsphilosophie. Können Menschenleben gegeneinander aufgewogen werden? Sind 70 000 Leben mehr wert als 164? Oder ist ein Menschenleben etwas Absolutes, das nicht nicht schuldigin Zahlen aufgerechnet werden kann? Die Würde des Menschen ist unantastbar, so gibt es unsere Verfassung vor. Beraubt man Menschen nicht dieser Würde, wenn man über sie verfügt wie über Objekte? Öffnet man, indem man von diesem Grundprinzip unserer Gesellschaft abweicht, nicht Szenarien Tür und Tor, die noch schwerer wiegen als Terrorismus? Aber kann es andererseits angehen, Prinzipien, so richtig sie auch sein mögen, über die mögliche Rettung von Menschenleben zu setzen? – Kann angesichts dieser Überlegungen eine Entscheidung richtig, eine Entscheidung falsch sein? Müsste das Handeln eines Menschen, der zum Fällen einer solchen Entscheidung gezwungen ist, nicht mit einem „übergesetzlichen Notstand“ zu ent-schuldigen sein?

Das Gedankenexperiment des Bretts des Karneades, zu dem dieses Stück letztlich eine Variation bildet, ist nicht neu, es wird in den ersten Semestern jedes Jurastudiums besprochen. In Zeiten des Terrors aber erlangt es erschreckende Aktualität.

Das Nürnberger Ensemble setzt Schirachs Werk, das nicht ausschließlich ein Theaterstück, sondern auch ein Stück Staatsbürgerkunde sein möchte, kongenial um. Die eine oder andere déformation professionelle der Beteiligten wird liebevoll angedeutet, ohne den juristischen und militärischen Berufen einen regelrechten Zerrspiegel vorzuhalten. Denn darum geht es an diesem Abend nicht. Es geht nicht um Slapstick, vielleicht auch nicht um literarische Finessen. Es geht um Staatsbürgerkunde und um Teilhabe im besten Sinne. Denn bei welchem Theaterstück sonst erlebt man es, dass im Anschluss so kontrovers diskutiert wird: zwischen Ehepartnern, zwischen wildfremden Menschen über mehrere Reihen hinweg, zwischen Bühne und Saal, zwischen Rolle und Schauspieler.

 

1 Stand 18.3.2016

Die aktuelle Übersicht über die Abstimmungsergebnisse findet sich hier: https://terror.theater

Hier geht es zu den weiteren Aufführungsterminen in Nürnberg: https://www.staatstheater-nuernberg.de/

Helau am Aschermittwoch

 

Aschermittwoch. Faschingsende. Doch leben wir Übersetzer nicht irgendwie immer in der fünften Jahreszeit?

Fasching (1024x576)

Es dürfte wenige Berufsstände geben, deren Angehörige so oft in unterschiedliche Rollen schlüpfen wie wir. Gut, wir sind dabei nicht komödiantenhaft und auch nicht betrunken. Und leider gibt es auch nach dem besten Wortspiel keinen Tusch.

Aber wir leben viele Leben: Wir sind Chefärzte (medizinische Übersetzungen), Romanciers (Literaturübersetzung), Richter (Rechtsübersetzer), verliebte Touristen (Übersetzung von Liebesbriefen – ja, auch das kommt vor!) und sogar die Stimme der Bundeskanzlerin oder des französischen Präsidenten (Konferenzdolmetscher – die besten von ihnen).

Und bei Eilübersetzungen machen wir auch mal die Nacht zum Tage.

In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch heute ein herzliches: Helau!

Hakuna matata?

Hakuna matata – kein Problem! – steht auf dem Zaun an der Baustelle des neuen Strafjustizzentrums Nürnberg. Zutreffen dürfte das aber auf die wenigsten, die ihr Weg in den Gerichtssaal führt, ob als Angeklagter, Nebenkläger oder Zeuge. Umso wichtiger ist es, dass die Verdolmetschung keine zusätzlichen Probleme bereitet, wenn nicht alle Prozessbeteiligten Deutsch sprechen.

Baustelle des neuen Strafjustizzentrums Nürnberg

Schließlich geht das Recht auf eine korrekte Verdolmetschung sogar auf das Grundgesetz zurück. Dort ist festgelegt: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Ein anderssprachiger Prozessbeteiligter ist also möglichst in dieselbe Situation zu versetzen wie in deutscher Muttersprachler. Und das auch dann, wenn er anwaltlich vertreten ist – denn nur, wenn er in der Lage ist, das Prozessgeschehen zu verfolgen, kann er während der Verhandlung mit seinem Anwalt Rücksprache halten.

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) spricht sich deshalb dafür aus, primär allgemein bestellt und beeidigte Dolmetscher vor Gericht einzusetzen, also Dolmetscher, die eine qualifizierende Ausbildung durchlaufen haben. Nicht nur im Interesse unseres Berufsstands, sondern auch in dem der Prozessbeteiligten.

Damit sich der Dolmetscher auch dann, wenn Simultandolmetschen und die Übersetzung juristischer Fachbegriffe gefragt sind, noch denkt: Hakuna matata! (Oder zumindest: Dank meiner Ausbildung zu schaffen.)